Mit der Aktionswoche endete am Freitag vermutlich auch das „Protestsemester“. Ein guter Zeitpunkt für einen ersten, kritischen Rückblick.
Forderungen, welche Forderungen?
Forderungen gab es natürlich schon (siehe „Forderungen des FU Aktionsplenums“), sie standen allerdings nicht unbedingt im Mittelpunkt der Campus- und Aktionswoche, die zusammen ja den Kern des Protestsemesters bildeten.
Wünschenswert wäre es gewesen, dass die Forderungen zunächst auf den dezentralen Vollversammlungen zusammengetragen und dann anschließend auf der großen Gesamt-VV diskutiert und sofern mehrheitsfähig in Form einer Resolution verabschiedet worden wären. Da das 5%-Anwesenheits-Quorum leider nicht einmal annährend erreicht werden konnte, hätte man die Resolution anschließend z.B. auch noch vom StuPa diskutieren und verabschieden lassen können.
Auf Basis dieser konkret ausgearbeiteten Forderungen hätte man dann die Aktionswoche mit ihren Veranstaltungen aufbauen können. Die einzelnen Vorträge und Workshops hätten sich in ihrem Kern darauf konzentriert, wie die Forderungen durchzusetzen sind, was man konkret gegen Missstände an der FU tun kann.
Stattdessen wurden Forderungen bzw. die zentralen Fragen „Was wollen wir und wie können wir es erreichen?“ erst nach der Gesamt-VV in einer zweiten Runde von denzentralen VVs und später im Aktionsplenum aufgestellt. Der gesamte Prozess der Forderungsausarbeitung war somit sehr „lose“, unverbindlich, wenig transparent und hatte innerhalb des Protestsemesters sicherlich ebenso wenig einen zentralen Stellenwert wie mögliche Durchsetzungsstrategien zu den Forderungen.
Die Aktionswoche
Unter den Veranstaltungen die innerhalb der Aktionswoche stattfanden gab es zwar auch solche, die sich mit hochschulpolitischen Themen auseinandersetzten, sie waren jedoch deutlich in der Minderheit.
Es ging um Datenschutz, Ubuntu-Install-Partys, Sexismustheorien, Solidarische Ökonomie, etc. und weniger darum, wie man etwa die Ausdehnung des BAs von sechs auf acht Regelsemester durchsetzen kann oder wie man die Integration der PolSoz-Bib in die UB verhindern kann.
Bei letzterem Thema beschränkte sich der Widerstand darauf Unterschriftenlisten rumgehen zu lassen und kurzfristig die Bibliothek zu besetzen. Unabhängig davon, ob diese Aktionen nun zielführend waren oder nicht: Eine Aktionswoche mit Workshops hätte es allein dafür nicht gebraucht.
Worum es stattdessen ging, kann man im Vorwort des VVVVs nachlesen:
„Der Gedanke hinter diesem Selbst-Orga-Marathon ist, ein Forum zu schaffen für die gemeinsame Diskussion von Problemen und alternativen Perspektiven des Studierens.
Gleichzeitig soll die Aktionswoche selbst aber auch schon der Versuch sein ein anderes Modell von Studium und Uni zu praktizieren. Eine Uni, wie wir sie gerne hätten, die weder heile Parallelwelt, noch unreflektiertes Abbild der Gesellschaft ist.
Das heißt eine Woche ohne Campusmanagement und Anwesenheitslisten, ohne Kontrolle und Zwang; dafür selbstbestimmtes und gemeinschaftliches Lernen immer in einem kritischen und einmischenden Verhältnis zur Gesellschaft, in der es stattfindet.“ (VVVV)
Und nach der Aktionswoche geht der Studienalltag dann weiter wie zuvor, da man es über das Diskutieren von Probleme und dem theoretischen Aufzeigen von Alternativen hinaus nicht schafft, tatsächlich eine substantielle Verbesserung des Status quo zu erreichen. Es ging kurzum mehr darum Alternativen zu diskutieren und weniger darum konkrete Konzepte zu deren Umsetzung über die Aktionswoche hinaus zu erarbeiten.
Denn natürlich ist die Frage legitim: Was bleibt von dieser Aktionswoche denn jetzt ganz konkret hängen? Ähnlich wie 2007 bei der G8-Themenwoche steht zu befürchten, dass das Ergebnis lauten wird: nicht viel.
Auch 2007 hat man mit großem organisatorischem Aufwand ein KVV für die G8-Themenwoche entworfen und auf den Veranstaltungen dann angeregt diskutiert. Noch vor dem eigentlichen Heiligendamm war das Thema am OSI jedoch wieder tot, bis heute gibt es nicht mal ein Papier, in welchem Nichtbeteiligte oder „nachkommende Studis“ nachlesen könnten, um was es in dieser Themenwoche eigentlich ging und zu welchen Erkenntnissen sie geführt hat.
Wohlfühl-Aktivismus
Unter „Wohlfühl-“ oder „Wellness-Aktivismus“ verstehe eine Form des Aktivismus, der in letzter Konsequenz sich selbst genügt. Eine Form von Aktivismus, bei dem die Schaffung eines Wir-Gefühls innerhalb einer kleinen, engagierten Gruppe nüchtern betrachtet das einzig wirklich tragende Element ist.
Durch das „Campus Camp“ bekam die Aktionswoche einen starken „Event-“ oder „Happening-Charakter“. Man sitzt Abends am Lagerfeuer, diskutiert angeregt, solidarisiert sich untereinander, veranstaltet am Ende eine Party und verdrängt schleichend dass die Schaffung eines Gemeinschaftsgefühls noch lange nicht die Lösung auch nur irgend eines Problems bedeutet.
Ein Aktivist der sich stark in die Orga einbringt, der bis zur Erschöpfung an Workshops partizipiert, der vielleicht bis tief in die Nacht diskutiert, wird es natürlich schwer haben, vielleicht auch mal einen distanzierteren Blick zum ganzen Geschehen zu bekommen.
Je tiefer er selbst eintaucht, desto verschwommener werden die harten Fakten, wie etwa jener, dass sich bis auf eine wirklich kleine Minderheit kaum ein Studierender für den Protest interessiert, die ganze Außenwirkung des Protests hart gegen Null tendiert.
Stell Dir vor es gibt Protest und keiner kriegt es mit
Wie in der Vergangenheit mehr als einmal ausgeführt bin ich sehr skeptisch, was die Möglichkeiten angeht, an einer deutschen Uni einen Massenprotest loszutreten. Zu viele Ressourcen (Personen, Zeit, etc.) in die Gewinnung von MitstreiterInnen zu stecken ist sinnlos, wenn die Studierenden sich in ihrer Mehrheit mit den Missständen längst abgefunden haben, nicht daran glauben, dass man etwas ändern kann, oder aber, die neue Situation vielleicht sogar recht gut finden (z.B. Verschulungstendenzen, die nicht wenige eben durchaus positiv finden).
Dennoch kommt natürlich keine Protestbewegung ohne Außenwirkung aus. Selbst wenn sich KommilitonInnen nicht sofort anschließen, sollten sie doch zumindest bemerken „Aha, da passiert etwas, da versuchen welche etwas gegen den Missstand XYZ zu unternehmen“. Dafür war der Protest jedoch nicht sichtbar und auch nicht output-orientiert genug.
Ich war innerhalb der Aktionswoche an vier Tagen am OSI und abgesehen von den Plakaten an den Bäumen hat man dort nichts von der Aktionswoche mitbekommen. Es gab keine Flyer, kein VVVV das auslag, keine Versuche Leute anzusprechen, keine Annoucements vor dem Beginn einer Lehrverantaltung. Einmal habe ich einen kleinen Infotisch in der Ihnestraße gesehen, den gab es aber soweit ich mich erinnere nur in der vorhergehenden Campuswoche. Dann gab es die Unterschriftenliste gegen die Schließung der PolSoz-Bib, die in Seminaren rumging. Aber sonst? Irgendwelche Hinweise auf die inhaltlichen Ziele des Protests, auf die Aktionswoche, auf das Camp? Fehlanzeige.
Nun ist der Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften nicht der Nabel der Welt, er ist jedoch der Bereich der sicherlich immer noch am ehesten Studis hervorbringt, die potentiell protestwillig und -fähig sind. Es liegt daher eigentlich auf der Hand, das Zentrum des Protestes auch geographisch am FB PolSoz zu anzusiedeln.
Stattdessen fand der gesamte Protest vom Campus Camp bishin zu den Veranstaltungen innerhalb der Aktionswoche fast ausschließlich in der Rost- und Silberlaube statt. Studierende, die nicht an der Rost- und Silberlaube waren, kriegten bis auf Flyer an den Bäumen dann auch nicht viel vom Protest mit.
Wenn die Aktionswoche hauptsächlich in der Rost- und Silberlaube stattfand, dann vermutlich natürlich auch deshalb, weil man in der Rost/Silberlaube anders als etwa im OSI oder OEI leichter Räumlichkeiten gestellt bekam. Sich alternativ einfach Räume zu erkämpfen ist auch leichter gesagt, als in der Praxis ausgeführt.
Dennoch hätte man m.E. das Camp lieber zwischen OEI und OSI errichten sollen und dann z.B. Dozierende fragen können, ob sie ihre LV nicht in der Woche ausfallen lassen und den jeweiligen Raum zur Verfügung stellen. Vielleicht wären irgendwo im OEI sogar ohnehin noch Räume freigewesen, nicht alle sind von Morgens bis Abends dauerbelegt.
Wenn ich KommilitonInnen am OSI auf die Aktionswoche hin angesprochen habe, war die Antwort in der Regel „Aktionswoche? Welche Aktionswoche?“. Das ist nun nicht unbedingt eine repräsentative Erhebung, aber ich hatte schon den Eindruck, dass der Protest an etlichen zumindest potentiell protest-interessierten Studis vorbeiging. Nicht nur, aber eben auch durch die falsche Wahl der Location.
Vom SchülerInnen-Streik, der Medienresonanz und verdächtigen Flugobjekten
Während die Aktionswoche trotz zahlreicher Bemühungen in der regionalen Berliner Printpresse nicht eine einzige Erwähnung nur wenig Feedback erfuhr, war die mediale Resonanz auf den SchülerInnen-Streik am Donnerstag immens. Im BBFB-Blog findet sich dazu ein ausführlicher Pressespiegel.
Nun wurde zwar der SchülerInnen-Streik in die Aktionswoche integriert, die Präsenz von Studierenden spielte aber weder auf dem Demo selbst noch in der anschließenden Berichterstattung in den Medien eine Rolle. Es war ein Streik vornehmlich der SchülerInnen von Berlin, anwesende StudentInnen waren nur „Beiwerk“ die keine zentrale Rolle spielten.
Der Versuch die Aktionswoche inhaltlich und aktivistisch etwas aufzuwerten, indem man den SchülerInnen-Streik auch zu ihrem Bestandteil erklärte, fruchtete also auch nicht wirklich. Die Verbindung zwischen dem Streik und Veranstaltungen bzw. Aktionen innerhalb der Aktionswoche war marginal bis nicht vorhanden. Auf der Demo ging es eben primär um Schul- und nicht um Hochschulpolitik.
Wie fast schon flehentlich man innerhalb der Aktionswoche um Aufmerksamkeit sann, lässt sich exemplarisch vielleicht an einem von Anna fotografierten, verdächtig erscheinender Helikopter, der tags zuvor über dem Campus Camp an der FU kreiste, erkennen. Anna war der Heli supekt weshalb sie ihn auch ausführlich ablichtete („schleifen, auffällig langsame flugbewegungen. bisheriger überflug über campgebiet: 4 mal bis 17:10, danach neue schleifen“).
Tatsächlich hatte der Heli aber vermutlich eher Interesse an dem neuen Solardach am FB Physik, denn am Ausspionieren der schwerst subversiven Camp-TeilnehmerInnen, wie man aus einer FU Pressemitteilung schlussfolgern kann (MedienvertreterInnen durften mit einem Heli über das Dach der Physiker fliegen, anzunehmen, dass dabei auch die Silberlaube mehrfach überflogen wurde).
Für die AktivistInnen bleibt die bittere Erkenntnis: Weder die überwältigende Mehrheit der FU Studierenden, noch die Medien, noch der Staatsschutz zeigte Interesse für die Aktionswoche.
Fazit
Das Experiment eine studentische Protestbewegung nicht aus einer kurzfristigen, temporär begrenzten Proteststimmung heraus entstehen zu lasssen, sondern angesichts diverser, nicht ad hoc zu behebender Missstände an der FU auch über mehr als ein Semester hinweg aufzubauen, war ebenso interessant wie erfolglos.
Die ohnehin nicht gerade große Gruppe der Protestierenden war noch kleiner als sonst, das lässt sich allein schon im Vergleich zum so genannten „Warnstreik 2005“ erkennen. Und während das „Protestsemester“ für diesen Sommer im letzten Wintersemester auf einer Gesamt-VV noch euphorisch beschlossen wurde, waren auf der letzten Gesamt-VV im Protestsemester selbst dann auf einmal schon wieder deutlich weniger KommilitonInnen anwesend. Ein Trend der auch auf dezentralen VVs und Vorbereitungs- / Organisations-Treffen erkennbar wurde (zumindest beklagten sich viele AktivistInnen darüber, sie sein zu wenige).
Nun ist Masse aber natürlich nicht alles, auch eine kleine, hochagile Gruppe kann etwas erreichen. Doch war das Aktionswochen-Konzept der wirklich engagierten Studis recht durchwachsen und letztlich nicht zielführend. Dadurch das Forderungen und ihre Durchsetzung nicht im Mittelpunkt standen, wirkte der Protest insgesamt wenig konkret und stark abstrakt.
Im selben Maß wie ersichtlich wurde, dass es kaum möglich war bisher Unbeteiligte für diese Ausgestaltung des Protests zu gewinnen, gingen die Beteiligten dazu über sich selbst und ihren Aktionen zu genügen – unabhängig davon, was nun wirklich erreicht werden konnte.
Dieser Kritik kann man natürlich das Argument der Nachhaltigkeit entgegen halten. Dass man also Missstände im Studienalltag nicht gleich aktiv bekämpft hat, sondern in einem ersten Schritt erst einmal nur diskutiert und gemeinsam denkbare Alternativen entworfen hat. Also zumindest ein stückweit die Grundlagen für Veränderungen geschaffen hat, die sich erst in Zukunft und nur langsam vollziehen werden.
Es lässt sich jedoch nicht erkennen, inwiefern im Kontext des jetzt langsam versandenden „Protestsemesters“ Erkenntnisse, Lösungen, Widerstandsformen, etc. gefunden oder entwickelt wurden, die sich auch konkret umsetzen lassen und dann in naher Zukunft wirklich zu einer Verbesserung des Status quo führen werden.
Genauso wie heute niemand mehr über die G8-Themenwoche im letzten Jahr spricht, wird im kommenden Jahr noch irgend jemand über diese Aktionswoche sprechen bzw. über das, was sie eigentlich gebracht hat. Die Beteiligten konnten vermutlich interessante Erfahrungen für sich selbst gewinnen, die Sache als solche voranbringen wird die Aktionswoche jedoch augenscheinlich nicht.
Die einzige, wirklich zentrale Erkenntnis aus diesem Protestsemester lautet, dass man studentischen Protest eben doch nicht am Reißbrett und im Vorfeld entwerfen kann (im Sinne von: nächstes Semester wird ein Protestsemester), dass es immer noch einen zündenden Funken braucht, etwas was das Faß zum Überlaufen und die Studierenden auf die Barrikaden bringt. Diese „Inititalzündung“ gab es trotz um sich greifender „Sachzwanglogik“, massiver Probleme mit dem Bologna Prozess und einer antidemokratischen Leitung der FU nach Gutsherrenart aber eben einfach nicht.
Insofern stellt sich dann schon die Frage, ob man den Protest das nächste Mal nicht lieber nur dann auf den Weg bringen sollte, wenn die Stimmung in der Studierendenschaft auch entsprechend ist und man ganz konkrete Forderungen hat, auf deren Durchsetzung man sich dann auch konzentriert.
Korrektur:
Wie man in einer Linkliste im BBFB-Blog nachlesen kann, gab es offensichtlich doch einige Artikel über die Aktionswoche in den Printmedien. Das mediale Feedback war dennoch nicht unbedingt überschwänglich – insbesondere im Vergleich zum SchülerInnen-Streik, der wie ausgeführt nicht wirklich viel mit der Aktionswoche zu tun hatte.