Der FU-Historiker Paul Nolte hält am kommenden Dienstag (05.12.) einen Vortrag zum Thema „Fragen an eine Geschichte der Demokratie“. In einer FU-Pressemitteilung heißt es:
„Paul Nolte, Professor für Zeitgeschichte an der Freien Universität Berlin, stellt im Rahmen der Universitätsvorlesung ‚Von der Einheit der Kulturwissenschaften‘ Fragen an eine Geschichte der Demokratie. Der öffentliche Vortrag findet am Dienstag, dem 5. Dezember 2006, um 18.15 Uhr in der ‚Silberlaube‘ der Freien Universität Berlin statt. Journalisten sind herzlich eingeladen.“ (Pressemitteilung 267/2006, 29.11.06)
Ob Studierende auch geladen sind, verrät die Pressemitteilung nicht, da der Hörsaal 2 aber nur schwerlich mit Journalisten und DozentInnen allein gefüllt werden kann, nehmen wir mal an, wir dürfen auch dahin (keineswegs eine Selbstverständlichkeit in Zeiten da der Studierende in den Augen der Uni-Obrigkeit immer öfter eher lästiger Ballast zu sein scheint). Die inhaltliche Ankündigung hört sich jedenfalls interessant an:
„Spätestens seit 1945 galt die Demokratie als selbstverständlich: Entweder man hatte sie oder es war klar, dass man sie besser haben sollte. Doch seit einiger Zeit erleben wir eine neue Verstörung und Verunsicherung. In Umfragen zeigt sich eine diffuse Skepsis – aber was ist die Alternative? Kann ein immerhin gut zweihundert Jahre altes System noch die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen? Und ist die westliche Demokratie vielleicht ein Sonderweg, der auf andere Kulturen in der Welt gar nicht übertragbar ist? Fragen über Fragen! In diesem grundlegenden Vortrag versucht Paul Nolte eine Bestandsaufnahme und schlägt, ausgehend von aktuellen Problemen, Schneisen in die Geschichte der Demokratie.“ (ebd.)
Welch martialische Wortwahl, „Schneisen in die Geschichte der Demokratie“. Oder vielleicht doch gleich Schneisen in die Demokratie selbst? „Paul Nolte holzt die Demokratie ab“, das wäre doch mal ein unterhaltsamer Veranstaltungs-Titel. Als Ideologe der so genannten „neuen bürgerlichen Gesellschaft“ ist Nolte in der linken Studentenschaft jedenfalls nicht sonderlich wohl gelitten. Der Kommilitone „Sven Scheuer“ (ich nehme an, das ist ein Pseudonym, man korrigiere mich) formulierte es in einem „Out of Dahlem“-Artikel über Noltes Standardwerk „Generation Reform“ unlängst wie folgt:
„[…] Das Ziel des ‚radikalen Aufbruchs‘ den Nolte vorschlägt, ist jedoch keineswegs diese Klassenverhältnisse aufzulösen. Von der ‚Illusion die Armut abzuschaffen‘ müsse man sich verabschieden. Soziale Ungleichheit überhaupt aufheben zu wollen, sei nicht nur unmöglich, sondern auch gar nicht wünschenswert. […] Nicht die unterschiedliche Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums sei zu kritisieren, sondern vielmehr diejenigen, die diese angebliche Notwendigkeit nicht einsehen wollen. Um deren Widerstand zu brechen entwirft der Historiker ein zweigleisiges Politikkonzept.
[…] Die Ideologie, der Paul Nolte anhängt und der sein Politikkonzept entspringt, ist eine zweigeteilte. Sie umfasst eine ‚Vorstellung von radikalem Wandel und konservativer Fundierung zugleich‘. Es handelt sich dabei um eine krude Mischung aus marktradikalem Gedankengut und wertkonservativ, christlichen Moralvorstellungen.
[…] Wie sieht der Weg zur neuen bürgerlichen Gesellschaft aus und wer muss welche Entbehrungen dafür in Kauf nehmen? In erster Linie natürlich, wer wäre sonderlich überrascht, die Unterschichten. Für sie speziell hat sich Nolte das Theorem von der ‚Unterschichtenpolitik‘ ausgedacht, an dem mehr als deutlich wird, worauf seine ‚Utopie der neuen bürgerlichen Gesellschaft‘ hinaus läuft. Nolte macht deutlich, dass die Unterschichten sich nicht selbst überlassen werden können, sondern dass sie durch bestimmte Maßnahmen, die beide Aspekte seines Politikkonzeptes umfassen, regiert werden müssen. Das dies jedoch ‚ohne spürbare Zumutungen für die Klienten dieser Politik nicht zu haben‘ sei, scheint folgerichtig. […]“
(Sven Scheuer: „Einblicke in die Gedankenwelt eines reaktionären Ideologen“, in: Out of Dahlem, Nr. 5, Sommer 2006, S. 12-15)
Was jemand der einer solchen „Utopie der neuen bürgerlichen Gesellschaft“ anhängt zum Thema „Fragen an eine Geschichte der Demokratie“ zu sagen hat, dürfte durchaus interessant sein – und vermutlich weitere Abgründe auftun. Wer will sollte sich also am Dienstag, 05.12.06 um 18.15 Uhr in der Silberlaube, Hörsaal 2 einfinden.
P.S.: Lesenswert zum Thema „Neue Bürgerlichkeit“ ist auch das jüngst erschienene Buch „Die neuen Spießer. Von der fatalen Sehnsucht nach einer überholten Gesellschaft“ von Christian Rickens. Dieser rechnet dort formvollendet mit Udo Di Fabio, Frank Schirrmacher, Peter Hahne et al. ab (was man ja von einem „Manager Magazin“-Redakteur so nicht unbedingt erwarten würde). Selbst wenn das Buch nun nicht unbedingt das analytische Meisterwerk schlecht hin ist, das reaktionäre Gedöns über den vermeintlichen Werteverfall in Deutschland und die daher einzuleitenden „Gegenmaßnahmen“ werden deutlich als unbrauchbare, empirisch nicht haltbare Propaganda entlarvt.