Zusammenfassung des Hartmann-Vortrags

Wie angekündigt fand am Mittwochabend eine Verantstaltung mit dem Soziologen und Elitenforscher Prof. Dr. Michael Hartmann in der Silberlaube statt. Der Hörsaal 1a war knapp zur Hälfte gefüllt, was für diese Zeit (18 Uhr) eine recht ordentliche Quote ist.

Zunächst hielten zwei Studierende jeweils einen Kurzvortrag. Till von der FSI OSI erklärte den Anwesenden die Exzellenzinitiative, Elsa vom AStA berichtete über den Stand der Dinge in Sachen Studiengebühren (in Deutschland allgemein und speziell in Berlin).

Prof. Hartmann konzentrierte sich in seinem Vortrag anschließend auf die Elitenrekrutierung an Hochschulen und zog dafür die Beispiele USA und Deutschland heran. Nach welchen Kriterien werden BewerberInnen für Studienplätze ausgewählt? Welche Ansprüche stellen die Hochschulen an sich selbst und werden sie ihnen gerecht? Wohin führt uns die Exzellenzinitiative in Deutschland?

I. USA

Insgesamt gibt es in den USA gut 4.000 Hochschulen, deren Leistungskapazitäten in Rankings gemessen wird. Diejenigen Universitäten, die an der Spitze stehen (Harvard, Yale, Princeton, Stanford, etc.) haben den Anspruch die besten Studierende auszubilden. In den Rankings wird versucht festzuhalten, wie viele Studierende eine Universität ablehnt (Logik: je mehr Studierende abgelehnt werden, desto besser ist die Universität), wie viele von den Zugelassenen dann tatsächlich kommen (und nicht doch auf eine andere Uni gehen, für die sie parallel ebenfalls eine Zulassung erhalten haben), wie viel Mittel einer Universität zur Verfügung stehen (je mehr Finanzmittel desto besser), welche Resultate eine Universität in der Forschung erzielt, etc.

Lehre spielt keine Rolle

Die Lehre spielt bei der Bewertung der Universitäten hingegen keine Rolle. Sie befindet sich an US-Universiäten insgesamt auf einem schlechten Niveau. Inzwischen werden 70% der Lehrveranstaltungen von Dozierenden bewältigt die man in Deutschland als „Lehrbeauftragte“ bezeichnen würde, sowie von Studierenden im fortgeschrittenen Studium. Den Professor selbst sieht der Studierende genauso wenig (oder sogar noch weniger) wie an einer deutschen Massenuniversität.

Für den Status der Universität ist das egal, da die Lehre kein Bewertungskriterium ist. Die ProfessorInnen haben sich oft in anderen Ländern einen Namen gemacht und werden dann auf dem Zenit ihrer Karriere für viel Geld von den US-Universitäten eingekauft, die durch ihre immensen finanziellen Ressourcen de facto weltweit konkurrenzlos sind. Nicht selten sind daher die Erbringer von Nobelpreisen Nicht-US-BürgerInnen, die aber an US-Universitäten forschen. Die eigentliche Leistung, die zum Nobelpreis führte, wurde aber nicht selten bereits zu einem Zeitpunkt erbracht, zu dem die betreffende Person noch nicht an einer US-Universität war.

Für die Studierenden ist wichtig, dass am Ende der Name „Harvard“ oder „Yale“ auf ihrem Abschluss-Zeugnis steht. Was sie an der Uni gelernt haben, ist dabei völlig irrelevant. Es geht um das Image, den Namen der Universität, nicht um die tatsächliche Qualität.

Massive soziale Selektivität

Das us-amerikanische Universitätswesen zeichnet sich nach Prof. Hartmann durch eine starke soziale Selektivität aus. So werden z.B. so genannte „Legacies“, Nachkommen von Ehemaligen, bevorzugt behandelt. Ihre Chance an einer der Spitzenuniversitäten angenommen zu werden ist 4x so groß wie die von normalen BewerberInnen. Alle Versuche die Legacy-Praktik abzuschaffen sind bisher gescheitert, da die Universitäten stark von den Spenden ihrer Ehemaligen abhängig sind. Sobald die Universiäten versuchen gegen das Legacy-Prinzip front zu machen, gehen die einflussreichen Alumni-Organisationen auf die Barrikaden und der Spendenfluss nimmt deutlich ab.

In den USA gibt es einen bundesweiten Eignungstest für den Hochschulzugang, den so genannten SAT. Dieser ist nicht verpflichtend, wird aber von den meisten Universitäten und Colleges als Zugangstest eingesetzt. Bei dem Test haben gewöhnlich diejenigen BewerberInnen die besten Karten, die bereits vorher auf eine gute (teure) Schule gegangen sind, die in Gegenden mit hohen Einkommen liegen. Auch hier ist also eine massive soziale Selektivität zu verzeichnen.

Ein weiteres wichtiges Kriterium für die Zulassung zu einer Top-Universität ist der „Charakter“. Dieses Kriterium geht zurück auf die Tatsache, dass der prozentuale Anteil von jüdischen Studierenden an den Unis beständig stieg und die Universitäten diesen Prozess stoppen wollten. Der Grund: Universitäten mit einem hohen Anteil an jüdischen Studierenden, wie etwa die Columbia University in New York, wurden von Eltern nicht-jüdischer StudentInnen zunehmend gemieden, sie schickten ihre Spröslinge dann lieber auf eine andere Uni. Als Leselektüre empfahl Prof. Hartmann an dieser Stelle „The Chosen“ von Jerome Karabel.

Das Kriterium „Charakter“ hat keine eindeutige Definition. Im wesenlichen geht es darum, BewerberInnen nach ihrer familiären und sozialen Umgebung auszuwählen. Hierbei wird soziale Ähnlichkeit prämiert, d.h. es werden diejenigen Studierenden am ehesten zugelassen, die in ihrem Auftreten den EntscheidungsträgerInnen am ähnlichsten sind.

Konsequenzen

In den USA rekrutieren sich 20% der Studierenden aus den 80% die die Unterschicht bilden, während weitere 20% der Studierenden von den 2% gestellt werden, die die Oberschicht sind. Es herrscht eine massive soziale Selektivität vor. Als Vorbild für Deutschland taugt das us-amerikanische Modell nach Meinung von Prof. Hartmann nicht.

II. Deutschland

In Deutschland wird in den kommenden Jahren mit 30% mehr Studierenden gerechnet, was entsprechende hohe Finanzmittel erfordert, die aber nicht vorhanden sind. Stattdessen setzt man auf die Exzellenzinitiative, mit der so genannte „Elite-Universitäten“ gefördert werden sollen (bei zeitgleicher Unterstützung für (vermeintlich) exzellente Forschung).

Kritikpunkte

Allein die Tatsache, dass die Bereiche Medizin, Ingenieur- und Naturwissenschaften gegenüber Geistes- und Sozialwissenschaften deutlich bevorzugt werden, stellt die Frage, nach welchen Maßstäben „Exzellenz“ hier eigentlich bestimmt wird.

Es zeichnet sich ein starkes Nord-Süd-Gefälle ab, bis auf wenige Ausnahmen sind alle zukünftigen „Eliteuniversitäten“ in Süddeutschland verortet. Es werden hier jene Unis bevorzugt, die ohnehin schon die meisten Drittmittel einfahren.

Die hochschulinternen Aufnahmeverfahren werden die soziale Schieflage weiter verschärfen. Da Studierende aus einem Akademikerhaushalt besser wissen, wie eine Uni intern funktioniert, was man in einem Bewerbungsschreiben einbringen muss, wie man sich sprachlich ausdrücken muss, etc.

Konsequenzen

Während Deutschland im internationalen Vergleich bisher hauptsächlich durch seine hohe Selektivität im Schulwesen aufgefallen ist, kommt jetzt eine starke Selektivität im Hochschulwesen hinzu, die es bis dato in dieser drastischen Form in Deutschland nicht gegeben hat. Die Exzellenzinitiative ist der Beginn einer massiven Hierarchisierung der deutschen Hochschullandschaft. Damit gleichen sich die Verhältnisse in Deutschland langsam denen in den USA an, wenngleich es hier auch in naher Zukunft noch gravierende Unterschiede geben wird.

Am Ende wird es in Deutschland zwei verschiedene Grundtypen von Universitäten geben: eine kleine Anzahl von Forschungsuniversitäten, die ihre Studierenden aus dem Bürgertum rekrutiert und auf der anderen Seite Massenuniversiäten die deutlich weniger Forschung betreiben und Bachelor-Studierende in möglichst kurzer Zeit und auf einem qualitativ niedrigeren Niveau ausbilden. Die bereits jetzt bestehende Chancenungleichheit wird drastisch zunehmen.

Dass die benachteiligten Universitäten, bei denen von Anfang an klar war, dass sie sich nicht zur „Elite“ würden zählen können, nicht stärker gegen die Initiative protestieren führt Prof. Hartmann darauf zurück, dass sie nicht als nörgelnder Verlierer dastehen wollen. Nach Prof. Hartmanns Meinung würden sich diese Universiäten ihre Lage schönreden und hätten bisher überhaupt nicht realisiert, was für weitreichende Konsequenzen die Initiatve für sie mit sich bringt.

Alternativen

Als Alternative sieht Prof. Hartmann nur eine stärkere Besteuerung. Statt diejenigen zur Kasse zu bitten, die jetzt studieren (Stichwort: Studiengebühren), sollte man lieber diejenigen besteuern, die ihre akademische Ausbildung schon hinter sich haben und „40 Jahre nichts zahlen mussten“. Wozu diese natürlich nicht bereit sind.

Abschluss

Nach dem Vortrag gab es noch eine interessante Diskussion, in der weitere Aspekte angesprochen bzw. Punkte aus dem Vortrag vertieft wurden. Deren Zusammenfassung wäre aber an dieser Stelle zu viel des Guten. Die Veranstaltung endete schließlich um 20:30 Uhr.

9 Antworten to “Zusammenfassung des Hartmann-Vortrags”

  1. Hobbes vs Boyle Says:

    Danke für die Zusammenfassung!

    Das mit der Lehrqualität wundert mich ein bisschen. Was heißt denn „die man in D als Lehrbeauftragte bezeichnen würde“? Sollen das dann Assistant Professors sein? Und ob die angesprochenen 70% wirklich ein (Nicht-)Qualitätskriterium sind, sei auch mal dahingestellt — lieber eine von einem Grad Student betreute Discussion Section mit 20 Teilnehmenden als ein überfülltes Seminar bei einem deutschen Prof…

    Auch die angeblich fehlende Relevanz der Lehre in Rankings halte ich für zweifelhaft. Einerseits spielt etwa Zahl und Qualifikation der Lehrenden in Rankings wie etwa dem von US News durchaus eine Rolle. Zum anderen findet die Lehrevaluation sehr stark innerhalb der Universität statt — zumindest in unserem Institut legten die Lehrenden sehr viel Wert auf die Evaluation und bei Entscheidungen über Neueinstellungen oder über die dauerhafte Einstellung (tenure) von Lehrenden wurde sehr viel Wert auf deren Qualifikation und Leistung im Bereich Lehre gelegt.

    Letzter Kritikpunkt: einerseits beklagt Hartmann — zurecht! — die in D aufkommenden hochproblematischen Besinnungsaufsätze und persönlichen Bewerbungsgespräche, andererseits scheint er aber auch etwas gegen standardisierte Tests wie GRE und SAT zu haben. Ich will nicht behaupten, dass die Tests unproblematisch wären, aber in Bezug auf die Vermeidung sozialer Selektion scheinen sie mir doch zumindest das kleinere Übel zu sein.

    Ansonsten: d’accord, Herr Hartmann!

  2. Anonymous Says:

    Ein sehr einseitiges Bild, das hoffentlich so nicht undiskutiert stehen bleibt

    Die Zusammenfassung hat einfach Fakten aus dem Vortrag übernommen, ohne sie kritisch zu überprüfen. Vieles davon ist entweder übertrieben oder sogar falsch. Lehre spielt eine immens große Rolle an den US-Universitäten. Die berühmten Professoren unterrichten oftmals sogar die Einführungsvorlesungen. Lediglich die discussion seminars/group und einige wenige Seminar werden von Doktoranden unterrichten. An den community colleges, die eher mit unseren Fachhochschulen oder z.T. sogar Volkshochschulen vergleichbar sind, gibt es unqualifizierte Lehrbeauftragte, aber so gut wie nie an den Universitäten.

  3. Niklas Says:

    || Ein sehr einseitiges
    || Bild, das hoffentlich
    || so nicht undiskutiert
    || stehen bleibt

    Es gab nach dem Vortrag durchaus eine kontroverse Diskussion, doch deren Zusammenfassung hätte den ohnehin schon langen Blog-Eintrag noch weiter ausufern lassen. Mal abgesehen davon, dass Hartmann auf jedes Argument durchaus ein schlüssiges Gegenargument parat hatte.

    || Die Zusammenfassung hat
    || einfach Fakten aus dem
    || Vortrag übernommen, ohne
    || sie kritisch zu überprüfen

    Die Fakten kritisch zu überprüfen war auch nicht der Anspruch des Eintrags. Es ging schlicht darum, den Vortrag ähnlich einem Protokoll zusammenzufassen.

    Mir fehlt schlicht die Zeit das alles zu überprüfen, mal abgesehen davon, dass ich kein Spezialist für die Materie bin. Allerdings bietet ja die Kommentar-Funktion bei Bedarf die Möglichkeit, die Fakten zu widerlegen bzw. zu diskutieren.

  4. Gott sei Dank, die FU ist gescheitert « FUwatch Says:

    […] Der Geldregen und der angebliche Image-Gewinn bringen auch nichts, wenn man dann wieder mit 70 Leuten in einem Seminar sitzt oder wenn der/die ProfessorIn keine Zeit hat, weil er/sie bei seiner/ihrer Fixierung auf die Forschung seine/ihre Lehre vernachlässigt. Natürlich kann man dem entgegenstellen, dass eine Verbesserung der Forschung letztlich auch immer zu einer Verbesserung der Lehre führt. Diese These ist jedoch gewagt und empirisch kaum zu halten. Intensivere Forschung meint eben nicht zwangsläufig auch bessere Lehre, sondern nicht selten sogar eine gegenteilige Entwicklung: Wegen der immer stärkeren Fokussierung auf die Forschung, rückt die Lehre immer stärker in den Hintergrund (siehe dazu auch die Zusammenfassung des Hartmann Vortrags). […]

  5. Ein bisschen politisch ist es noch « FUwatch Says:

    […] P.S: In einem heute erschienenden Telepolis Interview mit Prof. Dr. Michael Hartmann heißt es: “Telepolis: Es fehlt also eine neue 68er-Bewegung? […]

  6. FU Berlin schafft knapp den Sprung zur “Eliteuni” « FUwatch Says:

    […] Weg eine Zwei-Klassen-Hochschullandschaft in Deutschland etabliert wird (siehe dazu einmal mehr die Zusammenfassung des Hartmann Vortrags) und dass die Initiative sich zu sehr auf die Forschung konzentrierte, während die Lehre außen […]

  7. Tag der Philosophie « die fachschaftsinitiativen Says:

    […] Zusammenfassung des Vortrages von Michael Hartmann am 18.07.06 findet in der Silberlaube: “Wer wird Elite? Bologna, Exzellenz-Initiative und Studiengebühren: Zwischen Sinn und Selektion – soziale Folgen aktueller hochschulpolitischer Reformprozesse”. […]

  8. Hartmann erneut an der FU « FUwatch Says:

    […] – soziale Folgen aktueller hochschulpolitischer Reformprozesse” zu referieren (siehe “Zusammenfassung des Hartmann-Vortrags”), wird er auch dieses Jahr wieder einen Vortrag […]

  9. Planung für das “Protestsemester” « FUwatch Says:

    […] mögliche Redner wurden unter anderem bereits Prof. Michael Hartmann, Prof. Grottian und Prof. Narr genannt. Weiterhin wurde beschlossen, dass es eine Zeitschrift und […]

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