Bonnie und Clyde gegen den Rest

Der Hörsaal B des Henry-Ford-Baus war gestern zur Podiumsdiskussion „Selbstverständnis der Politikwissenschaft am OSI“ überraschenderweise überfüllt. Überraschend insofern, als dass davor nichts daraufhin gedeutet hatte, dass sich mehr Studierende als die „üblichen Verdächtigen“ für den Sachverhalt interessieren.

Dieses starke Interesse machte nun aber deutlich, dass viele OSI-Studierende erkannt haben müssen, welchen zentralen Umbruch der neue Strukturplan für das OSI bedeutet. Beschlossen wurde immerhin nichts Geringeres als die schleichende Aufgabe des Bereichs „Politische Theorie“ am OSI.

Zwar existiert nach wie vor die Juniorprofessur „Moderne politische Theorie und Wissenschaftstheorie“ die zur Zeit mit Bernd Ladwig besetzt ist, doch deren Dauerhaftigkeit ist trotz Tenure Track nicht sicher. Die neue Juniorprofessur Ideengeschichte muss sogar ohne Tenure Track auskommen, was Ladwig – der sich im Auditorium befand – massiv kritisierte. Er betonte, dass die Herabstufung der Vollprofessur Ideengeschichte auf eine zeitlich begrenzte, ohne MitarbeiterInnen auskommende Juniorprofessur in jedem Fall eine Schwächung der Politischen Theorie am OSI darstelle. Man sollte wenn, dann die neue Juniorprofessur wenigstens – wie seine eigene – mit Tenure Track ausstatten.

Dem widersprach Thomas Risse auf dem Podium massiv. Er versuchte vorzurechnen, dass das Lehrdeputat das durch den neuen Strukturplan im Bereich „Politische Theorie“ wegfallen würde nur minimal sei, der neue Plan insgesamt sogar eine neue, vorher nicht existierende Professur schaffen würde, es also „netto“ um einen Zugewinn ginge. Ein Standpunkt, der von Diskutanten sowohl auf dem Podium als auch im Auditorium nicht geteilt wurde.

Risse und die ebenfalls auf dem Podium diskutierende Tanja Börzel bestritten zudem den den Gremien vorgeworfenen Mangel an Transparenz bei der Ausarbeitung des neuen Strukturplans. Es ging eine Weile hin und her, was wo in welchem Gremium im öffentlichen und was im nicht-öffentlichen Teil diskutiert worden war.

Während Risse und Börzel versuchten zu argumentieren, die jetzige Entscheidung sei über einen längeren Zeitraum und etliche Gremiensitzungen hinweg langsam herangereift, blieben ihre Opponenten beim Vorwurf der Mauschelei, dass also diese Änderung im wesentlichen im Hinterzimmer beschlossen worden sei und nun in einem Hauruckverfahren Zürcher und Chojnacki ohne Ausschreibung auf die neuen IB-Lehrstühle gehievt werden sollten.

Zürcher hatte bereits eine (zeitlich) beschränkte Professur am OSI, Chojnacki bekanntlich eine Juniorprofessur inne. Nach dem Auslaufen der Stellen drohte ihr Weggang, den Rufen anderer Unis folgend. Demgemäss hatte das OSI handeln müssen, um Zürcher (Sicherheitspolitik) und Chojnacki (Friedensforschung) halten zu können, so Risse. Ferner könne der Sonderforschungsbereich Governance (SFB 700) ohne Professuren in Sicherheitspolitik und Friedensforschung einfach nicht auskommen. Dem hielt Sybille De la Rosa, Doktorandin im Bereich Theorie am SFB, fragend entgegen, ob denn der SFB ohne (Professur) Politische Theorie auskommen könne.

Risse und Börzel bestritten nicht, dass der neue Strukturplan eine Schwerpunktsetzung in Richtung IB / SFB Governance darstellt, meinten aber eine solche Profilierung des Instituts sei in Zeiten knapper Mittel unumgänglich. Dem hielt der Theorieprof Marcus Llanque (der demnächst an der Uni Augsburg lehrt) entgegen, dies müsse vielleicht für eine Uni gelten die insgesamt nur zwei oder drei Professuren im Bereich Politikwissenschaft habe, nicht jedoch für das OSI als größtes politikwissenschaftliches Institut der Republik. Wo wenn nicht hier sollte man auch etwas mehr in die Breite gehen, also durch Professuren möglichst viele Subdisziplinen der Politikwissenschaft abdecken.

Es kam dann zu einer Grundsatzdebatte über den Stellenwert der „Politischen Theorie“ innerhalb der Politikwissenschaft. Was macht Politische Theorie eigentlich aus? Ist sie nicht in jeder Subdisziplin der Politikwissenschaft ohnehin enthalten und braucht daher vielleicht gar keinen eigenen Lehrstuhl? Und wenn sie als eigenständige Subdisziplin existieren sollte, wie steht es dann um ihren Bezug zu Empirie und Praxis? Muss dieser in jedem Fall und unmittelbar erkennbar sein? Die diskutierenden Dozierenden waren sich hier nicht ganz einig, besonders Llanque war bemüht die Eigenständigkeit und Notwendigkeit der Politischen Theorie gegenüber Risse zu verteidigen, gleichwohl letzterer ihr natürlich nicht die „Daseinsberechtigung“ in Abrede stellte.

Die primäre, recht triviale Erkenntnis aus dieser Debatte war, dass DozentInnen in der Politikwissenschaft ganz unterschiedliche Vorstellungen haben, was Politische Theorie ist, welchen Stellenwert sie hat und wie sie anzuwenden / zu lehren ist.

Der Kommilitone Martin Fries, als OSI-Studierender auf dem Podium, versuchte den Stellenwert der (kritischen) Politischen Theorie deutlich zu machen, indem er sie unter anderem auf die Formulierungen im neuen Strukturplan anwandte. Ob das nun wirklich zielführend war oder nicht: Allein durch sein rhetorisches Können brachte Fries das mehrheitlich studentische Auditorium immer wieder zu kleinen Applausorgien. Ihn auf dem Podium zu postieren war zweifellos ein kleiner taktischer Geniestreich.

Während es Fries und Llanque gelang, Risse und Börzel vor sich herzutreiben, wirkten die ebenfalls gegen Risse/Börzel argumentierenden Brigitte Kerchner und Sybille De la Rosa vergleichsweise schwach. Nicht unbedingt inhaltlich, sondern strategisch-rhetorisch. So versuchte Kerchner gegen die starke „Governance“-Ausrichtung zu wettern, indem sie den Begriff historisch als aus der Ökonomie kommend „outete“. Ein taktisch eher fragwürdiges Vorgehen, denn nicht ganz zu unrecht verwies Börzel im Anschluss darauf, dass „Governance“ inzwischen wesentlich vielseitiger verwendet wird.

Insgesamt standen Risse und Börzel ziemlich allein gegen den Rest, selbst die Dozierenden im Auditorium die sich zu Wort meldeten argumentierten eher gegen als mit ihnen. Einzige Ausnahme war hier Marianne Beisheim („das Mädchen mit der Brille“, O-Ton einer Kommilitonin im Auditorium), die darauf verwies, man solle sich doch den SFB einmal genauer ansehen, dieser hätte eine recht breite Ausrichtung, die dann auch die Politische Theorie beträfe. In dieselbe Richtung ging Börzel mit dem Argument, trotz SFB Governance würde man natürlich nicht nur „Governance“ machen.

Neben Beisheim war aus Risses ATASP-Clique noch Ingo Peters anwesend (meine ihn jedenfalls gesehen zu haben), trug allerdings nichts zur Diskussion bei. Auch Klaus Roth, der zur Zeit die Ideengeschichte als Privatdozent am OSI vertritt, sowie der letzte Lehrstuhlinhaber Gerhard Göhler waren anwesend, sagten jedoch nichts. Peter Grottian soll ebenfalls unter den Anwesenden gewesen sein.

Auch etwas von Chojnacki und Zürcher selbst zu hören, wäre natürlich interessant gewesen. Chojnacki soll dagewesen, allerdings nur anschließend mit einem kurzen 20m-Zwischensprint auf dem Weg zur U-Bahn aufgefallen sein. Und Zürcher, nun, der arbeitete wie immer hart daran dem FUwatch-Chefredakteur seinen Titel als „Phantom vom OSI“ streitig zu machen. Selbst wenn er dagewesen sein sollte hat ihn sicherlich kaum jemand erkannt, weil ihn kaum jemand je leibhaftig am Institut gesehen hat.

Auffällig war schon, wie viele Redebeiträge aus dem Auditorium von Dozierenden kamen – und da hörte man dann doch sehr viel Unmut über den neuen Strukturplan heraus. Darüber hinaus hat die ganze Diskussion wenig Neues vermitteln können. Die Argumente und die Informationen die vorgebracht wurden, waren bis auf wenige Ausnahmen bereits vor dieser Diskussionsrunde bekannt.

Mehrfach wurde auf die Transparenz-Kommission (siehe „Erstes Treffen der Transparenz-Kommission am OSI“) verwiesen, die jetzt jeden zweiten Montag um 18 Uhr tagt. Dass die Arbeit dieser Kommission tatsächlich noch zu einer Vollprofessur Ideengeschichte führt, ist allerdings recht unwahrscheinlich. Sie kann natürlich darauf hinwirken, dass ähnliche Prozesse zukünftig transparenter ablaufen, aber auch hier sind die Aussichten auf einen Erfolg nicht unbedingt gut.

Zusammenfassend lässt sich festellen, dass das Interesse am neuen Strukturplan, der Unmut darüber wie er durchgesetzt wurde und auch der Wille zum Widerstand auf dieser Diskussionsveranstaltung bei vielen Dozierenden und Studierenden deutlich zum Vorschein kamen. Es wurde darüber hinaus aber nicht wirklich deutlich, wie etwas am Status quo maßgeblich geändert werden könnte.

2 Antworten to “Bonnie und Clyde gegen den Rest”

  1. Neuer OSI-Strukturplan laut Gutachten rechtswidrig « FUwatch Says:

    […] OSI-Strukturplan laut Gutachten rechtswidrig Nachdm es zuletzt so ausgesehen hatte, als würde sich der Widerstand gegen den neuen OSI-Strukturplan langsam darauf […]

  2. Rezension der sechsten OZ-Ausgabe « FUwatch Says:

    […] fallen kein einziges Mal, obwohl sie z.B. auf der Diskussionsveranstaltung zum Thema (siehe “Bonnie und Clyde gegen den Rest”) den neuen Strukturplan massiv verteidigt haben und man den Eindruck bekam, sie wären so etwas wie […]

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